Wo die Würde des Menschen nicht verblasst
Text: Daniel Göring, Foto: Sandro Hügli
Die mit dünnen Wolken umrahmte Nachmittagssonne bescheint sanft die Dachterrasse. Bei diesem Wetter sass Susanne Küng regelmässig draussen in einem Strandkorb. Sie blickte auf den grünen Hang zu ihrer rechten Seite, auf dem friedlich die Kühe weideten. Der Anblick und das Bimmeln der Glocken zauberten einen Ausdruck von Ruhe und Zufriedenheit auf ihr Gesicht. Nach einer Weile schloss sie die Augen und gab sich dem besinnlichen Augenblick vollumfänglich hin.

Pflegeassistentin Franziska Baumann mit einer Bewohnerin auf der Dachterrasse der Wohngruppe Maiensäss. In diesem Strandkorb sass auch Susanne Küng gerne.
Als etwas nicht mehr stimmte
Susanne Küng lebte bis zu ihrem Tod in der Wohngruppe Maiensäss des Seniorenparks, die für an Demenz erkrankte Menschen eingerichtet worden ist. Sie war eine eher stille Bewohnerin und von grundsätzlich fröhlicher Natur. Auch kleine Dinge bereiteten ihr Freude. Bevor die 82-Jährige in den Seniorenpark kam, war sie auf dem familieneigenen Hof in Diemtigen daheim. «Wir sind immer ein Mehrgenerationenhaushalt gewesen», erklärt ihr Sohn Peter Küng mit Stolz in der Stimme. Er führt heute den auf Viehzucht ausgerichteten Betrieb.
Im Frühling 2023 ging die Zeit von Susanne Küng im Schoss der Familie unfreiwillig zu Ende. «Wir hatten bereits einige Zeit zuvor bemerkt, dass etwas nicht mehr stimmte», berichtet Peter Küng. Auch seine Mutter habe realisiert, dass ihre geistigen Fähigkeiten nachgelassen hätten, sie Dinge vergass oder sich nicht mehr an Namen von Bekannten erinnern konnte. Doch mit Unterstützung seiner Ehefrau Sabine, der drei Schwestern und der Spitex sei es möglich gewesen, dass die Mutter trotz der Demenzdiagnose zu Hause habe bleiben können, erzählt Peter Küng.
Mutter sah Handlungsbedarf ein
Ein Vorfall auf einem der regelmässigen kleinen Ausflüge, die sie noch selbständig unternahm, führte der Familie dann vor Augen, dass Susanne Küng einer intensiveren Betreuung bedurfte. Aus unerfindlichen Gründen fand sie sich eines Tages beim Bahnübergang im benachbarten Oey zwischen den geschlossenen Schranken wieder und musste von einem Passanten aus der misslichen Lage befreit werden.
Zur Überraschung von Peter Küng sah auch seine Mutter den Handlungsbedarf ein. «Ich kann nicht mehr richtig denken, jetzt musst du schauen, was mit mir werden soll», sagte sie zu ihrem Sohn, «was auch immer du entscheidest, ist gut für mich.» Die Worte haben Eindruck auf Peter Küng gemacht, die Art, wie er sie rezitiert, bringen die Hochachtung für die Haltung der Mutter zum Ausdruck.
«Die Pflegefachleute machen ihre Sache wirklich gut. Sie kümmern sich um die Bewohnenden und führen Aktivitäten mit ihnen durch.»
Grosses Lob für Pflegende
Familie Küng hatte Glück, wenige Wochen später wurde im Seniorenpark Frutigen ein Zimmer auf der Demenz-Wohngruppe Maiensäss frei. Peter Küng schlief danach ruhiger, er wusste seine Mutter in guten und wohlwollenden Händen. «Die Pflegefachleute machen ihre Sache wirklich gut. Sie kümmern sich um die Bewohnenden, und sie führen auch Aktivitäten mit ihnen durch», fasst er sein Lob zusammen. Als Beispiele nennt Küng volkstümliche Nachmittage, Turn- und Bewegungsstunden sowie Spielrunden.

Peter Küng ist für die Pflegenden des Seniorenparks Frutigen voll des Lobes; er wusste seine Mutter in guten und wohlwollenden Händen.
Wenn Peter Küng seine Mutter besuchte, fiel ihm auf, dass sie «gut zurechtgemacht war», will heissen, gepflegt, gekämmt und schön angezogen war. Auch diesen Umstand schätzt der Sohn. «Die Würde eines Menschen wird so gewahrt, und das ist ebenfalls das Verdienst der Pflegefachleute.» Überhaupt zieht er den Hut vor der Arbeit der Betreuerinnen und Betreuer im Seniorenpark: «Der Umgang mit demenzkranken Menschen ist anspruchsvoll. Die Fachleute brauchen manchmal Nerven wie Drahtseile.» Als einzigen leisen Kritikpunkt führt er an, dass die Pflegenden nicht immer die nötige Zeit hätten, um sich eingehend dem Anliegen einer betreuten Person widmen zu können.
Froh um Lösung
Die Mutter in guten Händen an einem passenden Ort zu wissen, hat Peter Küng und seine Familie zweifelsohne entlastet. Aber wie ging er damit um, dass der Geist der Mutter immer mehr verblasste und sie am Schluss ihre Fähigkeit, sich verbal auszudrücken verloren hatte? Der Landwirt wählt als Antwort einen sinnbildlichen Satz: «Der Körper war noch immer meine Mutter, die Seele jedoch nicht mehr.» Er hält kurz inne, dann fährt er fort: «Es tat weh, wenn sie dich anschaute, dir aber nicht mehr sagen konnte, was sie gerade empfand.» Umso dankbarer ist Peter Küng, dass die Mutter in einem Umfeld leben konnte, das auf ihre Krankheit abgestimmt war. «Ich bin gottenfroh, haben wir diese Lösung für ihren letzten Lebensabschnitt gefunden.»

Auch verschiedenste Aktivitäten und alltägliche Verrichtungen sind Bestandteil der Pflege im Seniorenpark Frutigen.
Individualität der Bewohnenden respektieren
Die Wohngruppe Maiensäss im Seniorenpark Frutigen bietet Platz für 16 Menschen und einen Tagesgast, die an Demenz erkrankt sind. Dafür stehen zwei Doppelbett-Zimmer, zwölf Einzelzimmer und das Tageszimmer zur Verfügung. Die Wohngruppe ist geschlossen, was den Bewohnerinnen und Bewohnern Schutz bietet, da sie sich sonst im Gebäude verirren könnten, wie Marie-Rose Barben, Leiterin Pflege und Betreuung des Seniorenparks, ausführt.
Abgesehen von den Mahlzeiten gibt es für die Menschen der Wohngruppe Maiensäss keine vorgegebene Tagesstruktur. «Wir versuchen, der Individualität der Personen so weit als möglich Rechnung zu tragen», erklärt Marie-Rose Barben. Wenn jemand mal nicht duschen wolle, gehe das in Ordnung, fügt sie hinzu. Auch die Eigenheiten der Menschen sollen in der Wohngruppe Platz haben. «Es gibt Bewohnende, die zum Beispiel mehrfach täglich auf den Bus wollen. Darauf gehen wir im Umgang und in den Gesprächen mit ihnen ein», erläutert Marie-Rose Barben.

Zur Person
Peter Küng ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern. Der Landwirt führt in Diemtigen den familieneigenen Hof, auf dem er Viehzucht betreibt und knapp zwei Dutzend Kühe hält. Er sitzt im Vorstand von Mutterkuh Schweiz, dem Verein der mutterkuhhaltenden und fleischrindzüchtenden Landwirtinnen und Landwirte. In seiner Freizeit hält er sich gerne in den Bergen auf und wandert, fährt Ski sowie Snowboard. (Foto: zvg)

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